Aris Kalaizis

Die Ankunft des Papstes - Das Gemälde "make/believe" von Aris Kalaizis

Aris Kalaizis, Detail "make/believe" | Öl auf Holz | 59 x 80 cm | 2009
Aris Kalaizis, Detail "make/believe" | Öl auf Holz | 59 x 80 cm | 2009

Frau Prof. Regina Radlbeck-Oss­mann besitzt ein Lehramt für sytem­at­ische Theo­lo­gie. In ihr­em Essay nähert sie sich dem klein­form­ati­gen Gemälde des Leipzi­ger Malers Aris Kalaizis' "make/​believe" aus dem Jahr 2012. Im Ant­l­itz des Engels erken­nt sie eine Miss­b­i­li­gung gegenüber dem deutschen Papst Bene­dikt. Den­noch ist dieses Bild fern jeder Stig­mat­is­ier­ung. Dah­er appe­liert sie an den Betrachter, selbst akt­iv zu werden.

Die Türen des Audi­en­z­saales sind geöffnet. Eine weiß gekleidete Gestalt, in der Einge­wei­hte den gegen­wärti­gen Papst, Bene­dikt XVI., erkennen, tritt durch die Tür. Der Papst läuft auf ein ima­ginäres Pub­likum zu, seine erhoben­en Arme sind zu ein­er Begrüßungs­geste aus­gebreit­et. Es fol­gen zwei Kardinäle vor­ger­ück­ten Alters, der etwas jüngere Sekretär und ein­ige Leib­wächter. Der Sch­weizer Gard­ist salu­tiert, gleich wird das Blitz­licht­ge­wit­ter beginnen. 


So ver­traut die Szene anmutet, so irreal ist sie doch. Der Betrachter blickt eben nicht auf ein­en Bild­schirm und nicht in ein Magazin, son­dern auf ein Bild der Kunst. Dieses set­zt den Auftritt des Pap­stes in die linke Bild­hälfte und stellt ihr kon­trasti­er­end eine rechte gegenüber. Sie zeigt ein­en jun­gen Mann, der in seinem etwas ver­beul­ten Straßen­an­zug fast all­täg­lich wirkte, wüch­sen ihm nicht hoch aufra­gend zwei Flü­gel aus dem Rück­en. Spä­testens an dieser Stelle stockt der Blick des Betrachters und seine Augen beginnen zwis­chen den beiden Haupt­fig­uren des Bildes hin und her zu wandern.


Der Kon­trast zwis­chen den beiden Gestal­ten kön­nte größer nicht sein. Da steht der kirch­liche Würden­träger neben einem Unbekan­nten, der Führ­er ein­er Gruppe neben ein­er Ein­zelp­er­son, eine helle Gestalt neben ein­er dunklen und ein alter Mann neben einem jun­gen. Der zeigt durch sein Äußeres, dass er von gesell­schaft­lichen Kon­ven­tion­en befreit sein­en eigen­en Weg gehen will. Mit sein­en lan­gen, mit­tig ges­cheitel­ten Haar­en und dem Voll­bart kön­nte er für ein­en Jesus Mod­ell stehen, wie die Naz­aren­er ihn gemalt haben. – Nur: dieser Jesus ist nicht san­ft! Sein Gesicht ver­rät Miss­bil­li­gung, sein Körp­er ist leicht gekrüm­mt und abge­wandt, so als wolle er sich unter Protest ent­fernen. Seine rechte Hand weist, den Zeigefinger aus­gestreckt, zur Erde. Mit sein­er linken zieht der junge Mann sein­en Krawat­ten­k­noten auf, als würde er angesichts dessen, was er sieht, um Luft ringen.


Da stehen sie sich gegenüber: der ganz auf die Wahrnehmung sein­er repräsent­at­iven Aufgaben konzentrierte Papst und der krit­ische, Äußer­lich­keiten ablehn­ende Him­mels­bote. Eine sol­che Kon­trastier­ung ist nicht neu. Der Rück­bezug auf Jesus als bleibende Richt­größe gehört zum Kern­be­st­and des kirch­lichen Selb­stver­ständ­n­isses und Kritik an der medialen Inszen­ier­ung päpst­lich­er Auftritte hat man schon oft gehört.


…befreit von gesell­schaft­lichen Kon­ven­tion­en, ein­en ander­en Weg weisend


Das Bild, das Aris Kala­izis, der in Leipzig geborene Sohn griech­is­chstäm­mi­g­er Ein­wan­der­er, gemalt hat, ist jedoch mehr als nur ein kirchen­krit­isches Bild. Der Ver­treter der Leipzi­ger Schule lässt die erwäh­nten Aus­sagen ank­lin­gen, ver­zichtet jedoch darauf, die eine, ein­fache und all­seits bekan­nte Ant­wort zu geben, die das unver­söhn­liche Gegenüber von Amt und Cha­risma beschwört und mediale Inszen­ier­ung (MAKE) und Fröm­mig­keit (BELIEVE) gegenein­ander aus­spielt. Licht von oben erhal­ten bei Kala­izis beide, der Papst und sein geflü­gel­ter Gegen­spiel­er. Die weiße Sou­tane des kirch­lichen Würden­trägers scheint dav­on sog­ar mehr ein­z­u­fan­gen als der in Erdtön­en gehaltene Straßen­an­zug der Jesusfigur.


Aber bringt dieses Licht die Szene wirk­lich in die Bal­ance? Ist das Licht, das durch eine Aus­s­par­ung in der Decke dringt, Sym­bol für die Geg­en­wart Gottes oder selbst wieder Teil ein­er medialen Inszen­ier­ung? Und war­um salu­tiert der Sch­weizer Gard­ist mit dem linken, statt mit dem recht­en Arm? Also doch MAKE BELIEVE, ein inszen­iertes Ges­chehen, das etwas vorgaukelt?


Kala­izis gibt keine abschließenden Ant­worten. Er fordert den Betrachter auf, diese Ant­worten selbst zu suchen und es sich dabei nicht leicht zu machen. Deshalb also die vielen Zwis­chentöne! – Aus ihnen erwächst die Fasz­in­a­tion, die von dem Bild aus­ge­ht. Kaum glaubt man, dieses Werk ver­standen zu haben, kippt dieser Eindruck auch schon wieder. Die eigene Deu­tung begin­nt erneut zwis­chen MAKE, BELIEVE und MAKE/BELIEVE zu osz­il­lier­en und man zögert vor ein­er endgülti­gen Ant­wort, um doch noch ein­mal zu überlegen.

(Quelle: Lebendiges Zeugnis, Bon­ifa­ti­uswerk (Hrsg.) Heft 1/2012)


©2012 Regina Radlbeck-Oss­mann | Aris Kalaizis

Prof. Regina Radlbeck Oss­mann, geb. 1958 in Schwan­dorf (Bay­ern) hat ein­en Lehr­stuhl für Sys­tem­at­ische Theo­lo­gie an der Mar­tin-Luth­er-Uni­versität Halle-Wit­ten­berg. Gemein­sam mit Wulf Diepen­brock ver­fasste sie u.a. in dem Buch "Meister­werk, Lebenskunst, Spritu­al­ität", mehr­ere Beiträge zum Werk Emil Noldes in der Begegnung von Kunst und Reli­gion (Uni­versitäts­ver­lag Halle-Wit­ten­berg). Sie lebt und arbeitet in Halle und Schwandorf.

© Aris Kalaizis 2024