Aris Kalaizis

Verwüstete Heimat

Aris Kalaizis | Heimat | Öl auf Leinwand | 140 x 180 cm | 2020
Aris Kalaizis | Heimat | Öl auf Leinwand | 140 x 180 cm | 2020

Anhand des 2020 von Aris Kala­izis gemal­ten Bildes "Heimat" unter­sucht die Köl­ner Psy­cho­ana­lytiker­in Fotini Ladaki den Begriff der Heimat. Sie ver­weist dar­in auf mehr­ere his­tor­ische Ereign­isse und sucht dabei Par­al­lelen im Leben der Fam­ilie Kala­izis. Denn die Eltern des Malers haben während des griech­is­chen Bür­gerkrieges von 1946 – 1949 ihre Wurzeln und ihre Heimat verloren.

„Die Krähen schreien, und ziehen schwir­renden Flugs zur Stadt: Bald wir es schnei­en, weh dem der keine Heimat hat“ (Friedrich Nietzsche)


„Ohne Heimat sein, heißt leiden“ (Fjodor Michail­ow­itsch Dostojewski)


„Heimat ist der Mensch, dessen Wesen wir verneh­men und erreichen“ (Max Frisch)


In dem 2020 gemal­ten Bild „Heimat“ von Aris Kala­izis wer­den ikono­graph­is­che Para­met­er deut­lich, wie es sich fühlt, wenn die Heimat ver­wüstet worden ist und ver­loren gegan­gen ist. In dem Begriff der Ver­wüs­tung ist auch der Begriff des Ver­lustes integ­riert. Die Ver­wüs­tung impliz­iert den Ver­lust von Ver­wurze­lung auf vielen Ebenen. 
Die Wurzel ist eben­falls ein häufiges Thema in der Kunst von Aris Kala­izis. Auch seine Eltern haben während des Bür­gerkrieges von 1946 – 1949 in Griechen­land ihre Wurzeln und ihre Heimat verloren.
Das Bild „Heimat“ scheint eine Hyper­meta­ph­er zu impliz­ier­en, in der die Heimat als Sym­bol für den Ver­lust der Sprache – aber auch der Seele gilt.


Während der Mensch – im Gemälde verkörpert durch den Künst­ler selbst – in die ver­wüstete Heimat eindringt und mit besor­gten Augen den Raum beo­bachtet, äußer­lich und körper­lich intakt erscheint, wird er von ein­er Wolke der Zer­störung erfasst. In dieser Wolke schweben fol­gende Bilder: Das Por­trait der Eltern, ein leer­er Kof­fer, ein ver­lassenes Bett, Baumblät­ter, eingestürztes Dach sow­ie ein Welt­glo­bus. Aber auf dem Welt­glo­bus ist leider nichts zu erkennen, weder Länder noch Kontin­ente oder andere heimat­liche Verortungen.

Aris Kalaizis "Heimat" Detail
Aris Kalaizis "Heimat" Detail

Heimat ist keineswegs zu romatisieren


Die Welt ist untergegan­gen. Dam­it pro­pa­giert der Künst­ler Aris Kala­izis ein­en allge­mein­en Ver­lust, der womög­lich nicht nur allein mit ein­er ver­loren­en Heimat zu tun hat, son­dern auch mit den psy­cho­lo­gis­chen Fol­gen zu tun hat, die zumeist nach einem sol­chen dram­at­ischen Ges­chehen erfolgen. 


Das Bild ist ein them­at­isch ergre­ifendes Bild, weil es zum ein­en von unzeit­gemäßer Rel­ev­anz ist, ander­er­seits viel über Menschen unser­er Zeit aus­zudrück­en ver­mag. Man soll­te die Heimat keines­falls in ein­en romantis­ier­ten Kon­text ben­utzen. Mil­lion­en von Menschen ver­lier­en zurzeit ihre Heimat. Flücht­linge sind stets unterwegs. 


Sie fliehen von ihr­er Heimat und kom­men ver­mut­lich nie mehr wieder zurück. Dieser Ver­lust kann psy­cho­lo­gisch nicht mit den Prok­lam­a­tion­en aus Politik und Wirtschaft kom­pen­siert wer­den, denn die Welt­politik pro­pa­giert Gründe, die mit den Eigenschaften der Seele nichts zu tun haben. Nicht umsonst sagte auch Franz Kafka in seinem Buch „Ein Brief an den Vater“ dass unsere Welt ein Chor von Lügen und Täuschun­gen sei.

Aris Kalaizis "Heimat" Detail
Aris Kalaizis "Heimat" Detail

Was aber bein­hal­tet der Ver­lust, die Ver­nich­tung und die Zer­störung der Heimat? Denn wenn man die eigene Heimat ver­liert, ver­liert man nicht nur die Mut­ter­sprache und das Vater­land. Mut­ter­sprache und Vater­land sind fun­da­mentalen Begriff­lich­keiten im Hin­blick auf Heimat. Man kann dav­on aus­ge­hen, dass man nicht nur seine eigene Sprache ver­liert, son­dern auch seine Seele. Wenn man seine Seele ver­liert, ver­liert man sich selbst.


Freud hat den Begriff der Heimat als Sig­ni­fik­anten nach Lacan mit dem heim­lichen und unheim­lichen in Ver­bindung geb­racht. in seinem Auf­satz über „Das Unheim­liche“ schreibt er: „…auch heime­lig, zum Hause gehörig, nicht fremd, ver­traut, zahm, traut und trau­lich, anheimelnd, zum Haus, zur Fam­ilie gehörig … aus dem heimat­lichen, häus­lichen entwick­elt sich weit­er der Begriff des frem­den Augen entzo­gen, ver­bor­gen, gehei­men, eben auch in mehr­fach­er Bez­iehung ausgebildet…
Das deutsche Wort ‚unheim­lich‘ ist offen­bar der Gegensatz zu heim­lich, heimisch, ver­traut und der Schluss liegt nahe, es sei etwas dar­um schreck­haft, weil es nicht bekan­nt und ver­traut ist … 


Der Charak­ter des Unheim­lichen kann doch nur dah­er rühren, dass der Dop­pel­gänger eine den über­wunden­en seel­is­chen Urzeiten ange­hörige Bildung ist, die dam­als allerd­ings ein­en fre­und­licher­en Sinn hatte. Der Dop­pel­gänger ist zum Schreck­bild geworden, wie die Göt­ter nach dem Sturz ihr­er Reli­gion zu Dämon­en werden.“

Was passiert, wenn die Nation oder die Kul­tur ver­loren geht? Ist der Jude zum ewi­gen Sünden­bock geworden, weil er unter ander­em ein­en ständi­gen Ver­lust der Heimat verkörpert? 
Aris­toteles hat in seinem Werk „de anima“ gesagt, dass der Mensch mit der Seele den­kt. Dafür gibt es geschicht­liche und reli­giöse Beweise. Die Israel­iten hat­ten nach 300 Jahren Sklaver­ei in Ägypten sowohl ihre Sprache, wie auch ihre Seele ver­loren. Ist auch das gelob­te Land eine Hyper­meta­ph­er für die ver­lorene Seele? In der Kab­bala, der jüdis­chen Mys­tik steht, dass die Seele der Thron Gottes ist. 


Insofern wird im Alten Test­a­ment mit der Gen­es­is und dem Exodus sowohl die Wiederge­burt der Seele, wie auch der Sprache them­at­is­iert. Dies wird jedoch unter dem Man­tel Gottes getrieben. Gott per­sön­lich nim­mt die Ver­ant­wor­tung über die Israel­iten und ver­sucht ihnen Sprache und Seele zurück­zugeben. Auf dem Berg Sinai über­reicht er die ges­chrieben­en Tafeln mit den zehn Geboten Moses. 
Die Schrift ist auch ein Sym­bol für die Wieder­kehr der Sprache. Auch das Ich ein mystisches Zeichen für die ver­lorene Sprache. Und die Nahrung der Israel­iten in der Wüste hieß manna. Es war das Brot des Him­mels. In der All­tagss­prache der Griechen heißt manna die Mut­ter. Auf dem Berg Sinai über­reicht Gott Moses die ges­chrieben Tafel mit den 10 Geboten. 


Wer weder Sprache noch Seele hat, ger­ät in den Bereich des Genießens (Lacan)


Auch die Griechen durften unter der dreihun­der­tjährigen Herrschaft der Osman­en nicht ihre eigene Sprache ver­wenden. Sie mussten die Sprache der Erober­er sprechen. Es gab die ver­borgen­en Schu­len (to krifo scholio), die nachts heim­lich besucht wurden. 
In diesen Schu­len lernte man die Buch­staben und die Gram­matik der ver­loren­en Sprache. Man durfte diese jedoch nicht für Lit­er­at­ur, Reli­gion und Philo­soph­ie ben­utzen. Sie wur­den mun­dtot und stumm gemacht. 


Als vor 20 Jahren die Frank­furter Buchmesse Griechen­land gewid­met war, stand in der FAZ, dass die Griechen die Fähigkeiten eines Homers, Sokrates’, Pla­tos, Aris­toteles’ ver­loren haben. Aber sie können jet­zt tan­zen und sin­gen. Wenn man keine Sprache und auch keine Seele hat, ger­ät man in den Bereich des Genießens nach Lacan. Freud würde es den Bereich des Lust­prin­zips nennen. Das wahre Begehren, das alle ander­en Bereiche impliz­iert wie Nar­rativ­ität, Philo­soph­ie, Lit­er­at­ur, Poesie oder auch Wis­senschaft war beschädigt und auch nicht erlaubt. Wie viele Jahre eine Nation brauchen wird, um ihre ver­lorene Seele zu find­en und diese für das Begehren ein­zu­set­zen ist noch nicht bekannt.


Es gibt ein wirtschaft­liches und ein geistiges Exil


Aber auch der Nation­alsozi­al­is­mus hat für die Deutschen den Ver­lust sowohl ihr­er alten Sprache und Ethik wie auch ihr­er Selle bewirkt. Wie kon­nte man sonst als Bür­ger­meister ein­er Stadt mit sein­er Fam­ilie in eine jüdis­che Villa ein­ziehen, als die Juden im Holo­caust umgekom­men war­en. Holo­caust heißt auf griech­is­che ganz ver­bran­nt. Ich ziehe also in das Haus der Aus­gebran­nten ein. In so ein Haus können nur Mäuse und Rat­ten ein­ziehen aber niemals Menschen, die Bewusst­sein von Mor­al und Ethik besitzen.


Wenn man die Heimat ver­liert, ger­ät man in ein Exil. Aber es gibt sicher­lich unter­schied­liche Exile wie James Joyce feststellt: 
„Im Exil sagten wir, doch gilt es hier zu unter­scheiden: es gibt ein wirtschaft­liches und ein geistiges Exil“ (2)


Auch James Joyce suchte seine geistige Ret­tung im Exil in Tri­est, weil seine Heimat von polit­ischen und reli­giösen Über­grif­fen bed­ro­hte wurde und seine kreat­ive Freiheit eins­ch­ränkte. Wenn man aber nicht freiwil­lig seine Heimat ver­liert, wie die bereits erwäh­nten Israel­iten und Griechen, ger­ät man in ein­en ander­en Status. – Eli­as Canetti bes­chreibt den Zus­tand mit Sklaver­ei. Er sagt, dass man sich dadurch in ein Tier ver­wan­delt, dass keine Sprache mehr hat. Diese ver­wan­delte Tiere oder Vögel können nur bel­len und krächzen. 


„Die jur­istische Bestim­mung des Sklaven als Sache und Besitz ist also irre­führend Er ist ein Tier und Besitz. Man kann den ein­zelnen Sklaven am ehesten mit einem Hund ver­gleichen. Der gefan­gene Hund ist aus dem Verb­and seines Rudels heraus­gelöst, er ist ver­ein­zelt worden. Er steht unter den Befehlen seines Her­rn. Er gibt seine eigen­en Unternehmun­gen auf, soweit sie diesen Befehlen zuwider­laufen, und wird dafür vom Her­rn gefüt­tert …So wie der Herr sein­en Hund nicht erlaubt zu jagen, was er will, son­dern den Bereich dieser Jagd je nach seinem über­le­gen­en Nutzen ein­engt, so nim­mt er auch dem Sklaven eine aus­ge­bil­dete Ver­wand­lung um die andere ab …


Wie einst Zeus, so kann auch die Kunst ihre eigene Athene gebären


Von Anfang an muss es zwei ver­schieden­en Typen von Sklaven gegeben haben: die Ein­en allein wie ein Haushund an ein­en Her­rn gebunden, die andere zusam­men wie Her­den auf der Weide … Der Wun­sch, Menschen zu Tier­en zu machen, ist der stärk­ste Antrieb für die Aus­breit­ung der Sklaver­ei.“ (3)
Man ver­wan­delt sich in eine Tier unter der frem­den Herrschaft, wie auch Kafka häufig in sein­en Erzählun­gen them­at­is­iert wie „ Ein Hun­gerkünst­ler“, „Die Ver­wand­lung“ oder „Josefine, die Sän­ger­in oder das Volk der Mäuse“.


„Unsere Sän­ger­in heißt Josefine. Wer sie nicht gehört hat, ken­nt nicht die Macht des Ges­angs.“ (4)


In der Erzählung „Ver­wand­lung“ ver­wan­delt sich der Prot­ag­on­ist in ein kriechendes Tier, was auf­hört die mensch­liche Sprache zu ben­utzen. Aber mit sein­en Augen sieht er alles, was um ihn passiert. Unter der diktat­or­ischen Herrschaft seines Vaters dürfte auch Kafka keine Seele haben. Aber die Lit­er­at­ur hat ihm nicht nur bei­gest­anden, son­dern auch eine Seele ver­liehen. Sonst würden wir nichts von ihm wis­sen. Die Lit­er­at­ur und die Kreativ­ität gehören unter ander­em zu den Ret­tern der Seele, oder helfen einem die eigene Seele wiederzugewinnen. Wie einst Athene aus dem Kopf des Zeus geboren wurde, so kann man auch über die Kunst seine eigene Athene gebären.
Gleiches tut auch Aris Kala­izis mit der Malerei. Mit sein­er Kunst und dem Bild „Heimat“ them­at­is­iert und bringt er Para­met­er zum Vorschein, die womög­lich auch in sein­er Bio­graph­ie stat­tge­fun­den haben. 


Lit­er­at­ur



  1. Ges­am­melte Werke, Werke aus den Jahren 1917 – 1920, Band XII, Das Unheim­liche, Fisc­her Ver­lag, Frank­furt am Main, 1966, S. 231 – 232, 248

  2. Jean Par­is, Joyce, Rowohlts Mono­graph­i­en, Ham­burg, 1982, S. 32

  3. Eli­as Canetti: Masse und Macht, Fisc­her Ver­lag, Frank­furt am Main, S. 430 – 431 

  4. Franz Kafka, Erzählun­gen, Fisc­her Taschen­buchver­lag, Frank­furt am Main, 2002, S. 518


©2020 Fotini Ladaki | Aris Kalaizis

©2020 Fotini Ladaki
©2020 Fotini Ladaki

Fotini Ladaki, Psy­cho­ana­lytiker­in, geb. 1952 in Griechen­land, arbeitet neben ihr­er Tätigkeit als freie Autor­in Neben Pub­lika­tion­en zur Psy­cho­ana­lyse entstanden Essays zur Malerei Aris Kala­izis’, Ger­hard Richters „Mor­itz“ im Thimeon-Ver­lag (2004).


Darüber hinaus ver­öf­fent­lichte sie "Der Schreck­en des Sehens als Dasein­ser­fahrung", „Freud kam nach Parla-Dora“ Pas­sagen-Ver­lag. 2018 erschi­en ihr Buch "Auf Zugvö­gel schießt man nicht" im Novum-Verlag. 
2020 erschi­en "Masken­ball der Seele" sow­ie „Im Labyrinth der Seele“ im Pas­sagen-Ver­lag (Philo­soph­ie).


Sie lebt und arbeitet in Köln.

© Aris Kalaizis 2024