Bin ein Hin- und Her zwischen den Polaritäten
Der Soziologe Jan Siegt befragt den jungen Akademieabsolventen Aris Kalaizis 1997 in einem ersten Interview über Abstraktion, die Wichtigkeit von Polaritäten, Inhalt und Form sowie den Begriff der "dynamisierten Tradition"
Siegt: Liebermann hat einmal gesagt, Kunst bestehe darin, wegzulassen.
Kalaizis: Wenn er das nicht so verstanden hat, das bereits Gemalte auszusparen durch Übermalung …
S: Nein, nein, so verstand er es nicht, sondern als Konzentration auf das Wesentliche.
K: Ja, im Sinne einer Aussparung. Hundertprozentige Zustimmung. Dass man z.B. die sich anbiedernden Bildvorstellungen abwehrt und auf die wartet, die dem Inneren entsprungen sind, wo man merkt, jetzt rastet alles ein, Himmel und Erde werden eins. Mach’ ich im Umkehrschluss ein Bild, das sich nicht entwickelt, wo ich weiß, den Schritt formuliere ich jetzt aus Panik auch, dann weiß ich, dass ich verloren bin. Gerade aber, wenn man in solcher Situation so leicht in Angst und Panik gerät, dann kommen jede Menge von scheinbaren Auswegen, die sich im Laufe der Jahre anbiedern, wovon vieles Mist ist, einiges quält und nur manches erfreut und erquickt. Ich glaube, man muß dies alles abwehren und warten.
S: Besteht aber nicht die Gefahr, dass die Bilder einer zu ausgeklügelten Formsprache unterworfen sind?
K: Die Gefahr besteht immer. Nur weiß ich jetzt, würde ich dieses oder jenes Bild mit äußerstem Einsatz weiter machen, müsste ich aufhören zu malen. Es muss ja danach weitergehen. Sich nie ganz preisgeben, immer etwas zurückbehalten, eine Kraft; man muß ja immer ein bißchen schlau sein, zum Malen gehört ungeheuer viel Schlauheit, aber sie ist in der Tat nicht im Machen anzusiedeln, sondern im Vermeiden.
S: Weil danach ein anderes Spiel kommen soll?
K: … Kommen muß, welches schon anknüpft an das, was ich gerade veranstaltet habe, aber das nicht übergehen darf.
S: Da sonst Brüche kommen würden?
K: Brüche kommen natürlich und das ist auch gut so, nur muß ich schauen, dass diese Brüche harmonischer werden, dass es in mir nicht in ein ständiges Auf und Ab geht. Das ist ja auch der Vorteil für den Malenden, daß er für die Zeit der Arbeit in seinem zerrissenen Leben eine Einheit zumindest fingieren kann.
S: Sie haben vor kurzem angedeutet, es wäre wünschenswert, das Milde, das Sanfte durchzuhalten, was aber nicht Ihrem derzeitigen Naturell entspricht. Ginge es nicht, die Natur einfach schön darzustellen, oder müßte ein Konterbild hereinkommen, welches das Idyll zerstört?
…notwendige Harmonisierung von Brüchen
K: Die Konfliktsituation eben.
S: Die Konfliktsituation wodurch?
K: Die Konfliktsituation durch mich, als Teil meiner Physis. Ich bin ja im Grunde ein Hin und Her zwischen den Polaritäten und auch kein allzu harmonischer Mensch. Eine Leidenschaft zu beziehen aus der Abneigung zum Dasein, was ja immer mitspielt, oder aus uneingeschränkter Daseinsbejahung, könnt’ ich nicht.
S: Das ist gerade in jüngeren Arbeiten augenfällig, dass vieles aus dem Hin und Her kommt, wo es eher hinausläuft auf das offene, auf den Entwurf, auf den vagen Entwurf?
K: …auf einen Schwebezustand, den Zustand gleichzeitiger Nähe und gleichzeitiger Distanz, der allerdings, um auf Ihre Frage zurückzukommen, in der Form nicht vage sein darf.
S: Ist die Bewegung zwischen Ablehnung und Bejahung nicht ein ewiger Prozeß?
K: Ja schon, auch wenn ich spüre, es müßte auf ein Bejahen hinauslaufen, auf eine Besänftigung, das ist aber viel schwerer zu realisieren als ein Ablehnen.
S: Ich komme ja am besten mit Ihren Bildern zurecht, wenn ich mir sage, gegenüber diesen Bildern eine Art Halbgott und eine Art Halbtrottel zu sein. Halbgott, weil ich denke, es steht mir frei, mich diesen Bildern zu entziehen, und ein Halbtrottel, weil ich merke, ich begreife sie nicht ganz. Wenngleich ich spüre, dass etwa in den “unvoreiligen Versöhnungen” eine Art von Durchspielen verschiedener Schichten konsequent und in Form eines Kalküls umzusetzen versucht worden ist.
Das heißt, ein schiefes Bild setzt ein, und das folgerichtige zweite entsteht daraus. Man kann also sagen, daß eine Art Gewebe entsteht, während es fließt, und verändert während der Entstehung des ersten Bildes schon das dritte oder vierte, und das fünfte und sechste weisen wieder auf das erste und zweite zurück. Und hier finde ich gar nichts von Beliebigkeit, sondern hier finde ich eine durchkomponierte Struktur, die letztlich merkwürdigerweise zu einer Abwesenheit des Ichs führt. Dieser Körper ist zwar immer vorhanden, aber ich finde diese Leerstellen des Körpers geradezu als das Faszinierende. Hier ist nicht einer, der sagt: “Hier bin ich”, sondern “Wo kann ich sein?”, ohne jetzt metaphysisch sein zu wollen.
K: Hmm …
S: Sie brummen. Mir ist in unseren Gesprächen aufgefallen, daß Sie auch ungern über Biografisches reden und eigentlich viel lieber über Ihre kleine Tochter Nike reden möchten. Woran liegt das?
K: Nun, da gibt es nicht viel zu erklären. Aber ich würde schon sagen, daß meine Art von Bewusstseinszusammenhängen keine Transformation von dem ist, was Film in der Malerei sein könnte. Es ist vielmehr der Versuch, Bewusstseinszustände in den Griff zu bekommen, um zu schauen, wie diese mit Bildern kooperieren. Und ich sehe im nachhinein die Möglichkeit, daß das Normale, das eigentlich Erschütternde durchschimmert und zu ahnen ist. Das ist allerdings weniger metaphysisch als banal.
S: Warum so bescheiden?
K: Weil ich nicht die Absicht habe, in die Philosophie vorzudringen, um für die Kunst einen Anteil von ihrem Problemkuchen zu fordern. Ich würde, für mich gesprochen, darauf beharren, daß die Kunst eine eigene Domäne verwaltet und daß sie sich die Probleme, durch die sie wichtig zu sein behauptet, nicht bei externen Disziplinen, wie etwa der Philosophie, leihen muß.
S: Weil sie selber schon Philosophie ist.
K: Nein, weil sie, wenn Sie so wollen, die bessere Philosophie ist, da sie von dem Eingeständnis her zeugen müßte, aus dem Denken alleine keinen Prozess bilden zu können.
Siegt: Nur gibt es Kunstwerke, die mit den großen Philosophien in enger Konkurrenz stehen.
K: Nicht die glücklichsten, wie ich finde. Ich glaube im übrigen auch nicht, daß die Kunstwerke, von denen ich annehme, dass Sie sie meinen, selber eine ernstzunehmende Philosophie besitzen. Aber scheinbar hat unsere kleine Diskrepanz wohl eher mit der weit zurückliegenden Trennung von Inhalt und Form zu tun.
S: Von der Sie glauben, dass es sie nicht gibt?
K: Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall versuche ich jetzt, im nachhinein, diese scheinbare Dualität von Inhalt und Form zu überwinden, gewissermaßen notgedrungen, da auch ich glaubte, ich weiß da recht gut wovon ich rede, zunächst von einer inhaltlich-thematischen Ebene durchdrungen sein zu müssen, um überhaupt malen zu können. Das hat sich als ganz illusorischer Irrtum herausgestellt.
S: Weil Sie gemerkt haben, daß der formale Anspruch an das Bildgefüge gerade dann ärmlich und schwächlich ist, wenn die theoretische Vorarbeit zuviel Raum einnahm?
…Malerei ein großartiges Angebot, sich der Magie einer Scheinwelt auszuliefern
K: Für einen, der sich von der Malerei her versteht, ist es eigentlich unausweichlich, wenn er die Kernfragen des Formalen in seinem kleinen Tempel walten läßt und sich nicht in den – nebenbeibemerkt – wieder sehr aktuellen Wettlauf einläßt, welcher sich Wirklichkeit nennt. Ich finde, die Kunst, so wie ich sie verstehe, hat sich der Schamlosigkeit dieses Vorgangs, in welchem der Sieger immer schon feststeht, zu verweigern und danach zu suchen, was dieses Leben übersteigt.
S: Wie tauglich ist denn dabei ein so altes Modell wie die Malerei, das Modell der Leipziger Schule?
K: Nun, es kommt natürlich immer darauf an, wie es ausgeht. Aber prinzipiell, obwohl ich dieses Wort überhaupt nicht mag, bietet das Projekt Malerei das großartige Angebot, sich der Magie einer Scheinwelt auszuliefern, das wohlgemerkt zu einer Zeit, die von zunehmender Verdinglichung gekennzeichnet ist – was das ist, kann ich im Moment nicht erklären, schlage vor es trotz grober Fahrlässigkeit so hinzunehmen. Die Scheinwelt, ja, darauf komme ich immer wieder zurück, die sich nicht mit dem Wirklichen anlegt, sondern mit dem Möglichen. Deshalb sehe ich ja überhaupt nicht ein, weil auch in Ihrer Frage so ein Skeptizismus durchschimmert, der an die unzähligen Totsagungen der Malerei von vor, was weiß ich, fünfzig oder sechzig oder noch mehr Jahren rührt, daß das Projekt der Malerei sich erledigt haben soll. Dass sie wandlungsfähig ist, hat sie bewiesen bis zum heutigen Tag.
S: Wirklichkeit und Möglichkeit ist eine schöne Wortkombination. Dennoch, hält die Suche nach dem anderen auch dem stand, was wir unter realistischer Kunst kennen?
K: Ich kann und will mich nicht vor diese mitunter unsäglich dummen Bilder stellen, die natürlich auch gemalt wurden und werden. Ich kann nur sagen, Malerei wird mit Farbe gemacht und nicht mit den Dingen. Dies sage ich durchaus in Opposition zu denjenigen, die es auf die Realitätsnähe anlegen.
S: Wie ist denn, vielleicht in diesem Zusammenhang, Ihr Verhältnis zur Tradition?
K: Jemand, der die Fülle der Erfahrbarkeiten beschreiben oder besser formulieren will, braucht nicht zu resignieren vor der Herausforderung einer guten Formulierung, auch wenn wir das Glück oder das Pech haben, in einer Zeit zu leben, die in diesen Angelegenheiten unter einer gewissen Sprachnot leidet. Dieser Sprachnot kann begegnet werden, in dem wir auch oder gerade die Sprache der klassischen Malerei noch eine Weile weiterführen, um in Erfahrung zu bringen, welche Erfahrung, die auch wir machen können, bis auf weiteres noch besser ausgedrückt werden könnte.
Siegt: Demnach wäre der erweiterte Begriff einer dynamischen Tradition zutreffender?
K: Ja genau. Sehr gut. Tradition ist Voraussetzung fürs Malen, aber sie gehört, um bei Ihrer Frage zu bleiben, dynamisiert. Es ist ein Standpunkt für mich, auf Traditionen oder Überlieferungen einzugehen, aber die eroberten Positionen nicht zu wiederholen, sondern davon auszugehen, sie zu erweitern. Es macht auch einfach keinen Sinn, als könnten wir uns wie aus der Pistole geschossen, auf die Bühne der Welt setzen, unberührt von allem Dagewesenen. Bilder, Bücher, was auch immer, wurden und werden aus anderen gezeugt.
S: Ich würde anschließen an dem, was Sie eben über die Schwierigkeit, in der Welt seinen Platz zu finden, gesagt haben, und behaupten, dass dies auf fast allen Ebenen zu beobachten ist. Es ist einfach nicht mehr so, daß man aus einem Sproß hervorgeht und erbt. Letztlich ein ziemlich wilder, unfreiwilliger Abnabelungsprozeß, der das merkwürdige Losspringen der Jungen von den Alten klären könnte. Bei vielen Erben reicht es bestenfalls noch zur Frage nach dem Kontostand.
…Tradition ist Voraussetzung fürs Malen, aber sie gehört, um bei Ihrer Frage zu bleiben, dynamisiert
K: Nun, das werden Sie besser wissen als ich. Ich dachte dabei eigentlich nur an uns Kinder, die wir in ein Régime des Individualismus wie der Kunst hineinwachsen.
S: Wie erleben Sie denn das Aufwachsen in einem “Régime des Individualismus”, wie Sie es nannten.
K: Ich stehe eben nicht auf einem unerschütterlichen Fundament, sondern drifte in einem erschütterbaren. Hier zu sein, heißt ja auch mitbewegt werden, durchdrungen, durchtönt zu sein. Ist es wahr, dass ich rede? Bin ich es, der malt? Flüstern in meinen Bildern nicht der Ozean oder das Feuer, die Erde, das Geschlecht, die Nation, die Geschichte? Sie sehen, ich kann darauf keine klare Auskunft geben.
S: Herr Kalaizis, ich würde Sie ja durchaus als einen optimistischen Menschen bezeichnen, obwohl ich natürlich auch weiß, daß dies nicht immer so war. Läßt Sie, abschließend gefragt, diese Haltung auch glauben, daß Kunstwerke irgendetwas bewirken könnten?
K: Revolutionen werden sicherlich keine gemacht. Bin ja selbst jetzt, um Sie ein wenig zu ergänzen, nicht nur zukunftsfroh. Alleine an ein Paradies denken könnte ich nicht. Aber alle Kunstwerke und Kulturen haben ja im Grunde nur geschafft, dass es nicht total bestialisch wird, nichts anderes. Daß die große Bestialität, die große Abgründigkeit, die in uns allen herrscht, aufgehalten oder Spalt der menschlichen Dunkelheit verstopft wird. Das Barbarische schimmert und schimmert und wird durch Bücher, Bilder, Filme wieder verstopft. Das ist nicht geringes. Das vermag Kunst zu leisten. Das ist aber groß genug!
©1997 Jan Siegt | Aris Kalaizis
Jan Siegt, Soziologe, lebt und arbeitet in Sindelfingen.