Aris Kalaizis

Ozean

In ihr­er Dis­ser­ta­tion­sarbeit unter­sucht Stefanie Heese u.a. am Beis­piel des frühen Bildes Bildes "Ozean" (2004) die ästhet­ische Wirkung von Kunstwerken für das lit­er­ar­ische Tex­tver­stehen. Dar­in bes­chreibt sie u.a. die Wech­sel­wirkung von Traum und Wirklichkeit.

Aris Kalaizis | Ozean | Öl auf Holz | 120 x 140 cm | 2004
Aris Kalaizis | Ozean | Öl auf Holz | 120 x 140 cm | 2004

Aris Kala­izis wurde 1966 in Leipzig als Sohn griech­is­cher polit­ischer Emig­ranten geboren und stud­ierte Malerei an der Hoch­schule für Grafik– und Buch­kunst (HGB) Leipzig bei Arno Rink. Er lebt und arbeitet derzeit mit klein­en Unter­brechun­gen in Leipzig . Kala­izis wird, wie auch Tim Eitel, der Kun­strich­tung „Neue Leipzi­ger Schule“ zugerechnet. 


Seine Kunst ist geprägt von ein­er „Aura der for­m­alen Klar­heit, der zun­ehmenden Stille, aber auch der Entrück­theit“ (Schlüter 2004, S. 9). Wur­den Tim Eitel sur­reale Züge in sein­er Malerei zuge­sprochen, so gilt diese Zus­chreibung auch für die Malerei von Aris Kalaizis.


Das Bild Ozean hat die Ambi­val­enz von Traum und Wirk­lich­keit zum Thema. Ein Mäd­chen mit lan­gen braunen Haar­en und mit nur einem weißen Hemd bekleidet sitzt an einem ova­len hel­len Holzt­isch. Der Kopf liegt auf ihren überkreuzten Armen und ihr Blick ist starr auf eine mit Wasser hal­b­voll gefüll­te Vase gerichtet. 


Mim­ik und Gestik deu­ten darauf hin, dass sie in Gedanken ver­sunken ist und sie ihre unmit­tel­bare Umwelt über­haupt nicht wahrnimmt. 
Sie ist sehr blass und ihre durch­schein­ende glän­zende Haut, das sch­male Gesicht und die her­vor­stehenden Knochen lassen sie extr­em dünn und krank wirken. Bestärkt wird dieser Eindruck durch die sich abzeichn­enden Augenringe.

Aris Kalaizis | Ozean (Detail)
Aris Kalaizis | Ozean (Detail)

Die Gestal­tung des Interieurs ist durch den Tisch nur angedeutet. Der Raum wirkt leer und aufgeräumt. 
Wesent­lich für die Deu­tung ist die Beschaf­fen­heit der Wand hinter dem Mädchen. 


Eine auffal­lend grasgrüne Tapete mit großen sym­met­risch aufgedruck­ten Kreis­en, in der­en Inner­em sich eine Segel­boot­gruppe befin­d­et, bekleidet die Hälfte der im Bild sicht­bar­en Wand. 


Diese Tapete scheint aber mit ein­er Meeres­motivta­pete zum Teil überklebt worden zu sein.

Jedoch lösen sich die Bahnen dieser nachlässig ange­b­racht­en Tapete und die los­gelösten Eck­en hän­gen her­unter. Am ober­en Rand des Bildes kom­mt die grüne Tapete wie­der­um zum Vorschein. Trotz dieser abfal­lenden Tapete wirkt das Interieur nicht schäbig oder mar­ode, son­dern eher ordent­lich und gepflegt.


Wun­sch nach Weite


Auffal­lend ist die real­ität­s­nahe Darstel­lung des Meeres, welche dam­it im starken Kon­trast zur orna­ment­al gestal­teten grün­en Tapete steht. Abgese­hen von der Unmög­lich­keit, an dieser Stelle und in dieser Art den Blick auf ein Meer zu richt­en, weist nur der Spalt der aufein­ander­tref­fenden Tapet­en­bahnen darauf­h­in, dass es sich eben nicht um ein Meer han­deln kann, son­dern nur die Darstel­lung dav­on zeigt.


Das Bild legt die Sicht nahe, dass der Wun­sch nach Weite, viel­leicht auch nach Aben­teuer, so stark sein kann, dass er zum ein­en krank macht, weil er uner­füll­bar scheint und zum ander­en so stark ist, dass Real­ität und Traum mitein­ander ver­schmelzen. Ist es nicht der Wun­sch nach Weite, der krank macht, son­dern ein ander­weit­ig schwer­wie­gendes Prob­lem, so kann fol­gende Deu­tung for­mu­liert wer­den: Menschen sind in der Lage, sich in prob­lem­at­ischen Situ­ation­en Träu­men hin­zugeben, genuss­voll die Real­ität zu ver­lassen und sich vor der Wirk­lich­keit zu verschließen. 


Eine weit­ere Deu­tung ergibt sich wie­der­um bei der Fok­ussier­ung auf das krank aus­se­hende Mäd­chen, welches sich even­tuell schon mit dem Tod aus­ein­ander­set­zt und das Unend­liche imaginiert.


Über Phant­as­i­en und Träume kann man sich also aus dem Hier und Jet­zt herauslösen, dieses Ver­mö­gen stellt aber keine Altern­at­ive zur Wirk­lich­keit dar, son­dern die Wirk­lich­keit holt jeden wieder ein. Ein Traum lässt sich nicht aufrechter­hal­ten. Krankheit und Verz­wei­flung können dadurch nicht wirk­lich über­wun­den wer­den. Phant­as­i­en sind dem­nach nur eine brüchige Hil­fe für die Bewäl­ti­gung von realen Prob­le­men und gewähren nur ein kur­zes Innehal­ten, bevor die Wirk­lich­keit die bet­ro­f­fene Per­son wieder einholt.


Lit­er­at­ur:


Aus­zug: Stefanie Heese "Zur Nutzung von künst­lerischen Bildern für das lit­er­ar­ische Tex­tver­stehen im Unter­richt". Eine quasi­ex­per­i­mentelle Unter­suchung (S.181 – 182)


Peter Schlüter "Aris Kala­izis-Ungewisse Jag­den", Kata­log Mar­bur­ger Kun­stver­ein (S.9)


©2022 Stefanie Heese | Aris Kalaizis

Stefanie Heese ©2020 Foto: Christian Hüller
Stefanie Heese ©2020 Foto: Christian Hüller

Stefanie Heese ist 1978 in Pots­dam geboren. Sie ist aus­ge­bil­dete Gym­nas­iallehr­er­in mit der Fäch­erkom­bin­a­tion Deutsch und Kunst und pro­movierte im Mai 2021 zur Nutzung von künst­lerischen Bildern für das lit­er­ar­ische Tex­tver­stehen im Unter­richt. Zur Zeit arbeitet sie als Lehrkraft für beson­dere Aufgaben an der Uni­versität Leipzig/​Bereich Fach­didak­tik für deutsche Sprache und Literatur. 


Sie lebt und arbeitet in Leipzig.

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