Spannung, Unbehagen, Neugier
In diesem Text umschreibt die Dresdener Kunstkritikerin und Kuratorin, Susanne Altmann, die Bildwelten des Leipziger Malers Aris Kalaizis als ein klaustrophobisches Spannungsraum, in dem sich die Figuren am Rande der Selbstauflösung zu befinden scheinen
Leipzig. Der Wagen. Das Haus. Der Wald. Der Mann. Diese vier Elemente verbindet Aris Kalaizis, ein Vertreter der Neuen Leipziger Schule, in seinem Gemälde „Holzhaus“ miteinander. Er lässt sie wie auf einer Bühne gleichzeitig auftreten und dabei gelingt es ihm, wie in einem guten Theaterstück, den Betrachter vergessen zu lassen, dass die Konstellation von der Phantasie eines Autors herbeigezwungen wurde. Die Suggestivkraft der Handlung oder besser: der Verweigerung einer Auflösung zieht uns in ihren Bann.
…Requisit für ein metaphysisches Klima
Doch was ist das Geheimnis dieser szenischen Schlüssigkeit? Wieso funktionieren diese vier Elemente miteinander? Ist es der rote Wasserschlauch in den Händen des Mannes, der als Nabelschnur oder Faden die Komposition hält? Ist die ausgeklügelte und künstlich wirkende Lichtführung? Ist es die angespannte, leicht milchig wirkende Luft, die diesen Außenraum vibrieren lässt? Oder ist es der streng definierte Flecken feuchter Erde, auf dem sich das Geschehen abspielt? Wasser, Feuer, Luft, Erde – die Analogie zu den vier Elementen, die unsere Welt generell zusammenhalten, wäre ein möglicher Deutungsversuch. Innerhalb dieser Lesart wäre die männliche Figur kein Protagonist, sondern vielmehr ein Requisit für ein metaphysisches Klima. Und tatsächlich scheint sich das Schlüsselgeschehen eher auf das hell erleuchtete Hüttenfenster im Bildzentrum zu konzentrieren – obwohl hier Inhalt, wie man ihn traditionell im Mittelpunkt einer Komposition vermuten würde, schlicht verweigert wird.
Spannung, Unbehagen, Neugier, Wiederkennungswert treten angesichts dieser Szene in ein Wechselspiel, dass in seiner psychologischen Intensität viele Werke von Aris Kalaizis zu unverwechselbaren Stimmungsbildern werden lässt. Dabei zehren diese Auftritte, unabhängig von einem mutmaßlichen Vorher oder Nachher, von der Ähnlichkeit zu Filmstandbildern. Nicht umsonst fühlt sich Kalaizis zu Filmemachern wie Wim Wenders oder Jim Jarmusch hingezogen. Vielleicht darf man in diesem Sinne die helle Öffnung als Referenz an die Magie des Kinos, als Verneigung vor ganz speziellen Großmeistern des bewegten Bildes verstehen. Im Inneren des Häuschens könnten sich brisante, funkelnde Zweipersonenstücke abspielen, wie etwa Robert Altmans „Fool for Love“ (1986) mit Kim Basinger und Sam Shepard am Rande psychischer Selbstauflösung.
Wie oft entfalten derlei kinematografische Handlungsabläufe ihre Tiefe jenseits der sichtbaren Abläufe, wie oft sind es unsichtbare Interaktionen, kaum ins Bewusstsein dringende Requisiten oder Kulissen, die die Stimmung der von Aris Kalaizis offenbar favorisierten nordamerikanischen Filmepen unterschwellig grundieren. Solche Momente, reich an nicht decodierbarerem Nachdruck, fängt er ein; weniger als Zitate, vielmehr als Symptome alltäglicher Absurditäten und Abgründe.
Das seltsame, aber beileibe nicht unvorstellbare Zusammentreffen, wie es etwa das Gemälde „Bahren“ anbietet, gehört zweifellos zu diesem Themenspektrum. Ähnlich wie bei „Holzhaus“ findet die Begegnung der beiden Protagonisten unter freiem Himmel statt und führt zusätzlich zum Sujet die Hingabe und handwerkliche Meisterschaft des Malers bei der Darstellung von Natur vor. Auch „Pentragrass“, das wohl unheimlichste Motiv der vorliegenden Werkauswahl, wurde im Freien, in einer real existierenden Parkanlage angesiedelt und bietet dem Betrachter trotzdem kaum Gelegenheit zum erleichterten Durchatmen. Alle drei Gemälde enthalten stark klaustrophobische Komponenten, die Kalaizis sowohl in der Raumorganisation wie auch in der psychologischen Ordnung gerne programmatisch benutzt. In Innenraum wie „Stella“ verstärkt er diese Intention noch weiter.
Und weil er seine Bildprogramme sorgfältig aus einzelnen fotografischen Elementen beziehungsweise entlang von vorher angelegten Textskizzen zusammensetzt, kann man ihn getrost als Regisseur betrachten. So kommt jene Verbindung zwischen Beklemmung und Vertrautheit, Banalität und Geheimnis zustande, die jedes Bild auch zu einer emotionalen und intellektuellen Herausforderung für den Betrachter werden lässt.
(aus: Katalog: Künstleraustausch Columbus/Ohio – Freistaat Sachsen, dt./engl.)
©2007 Susanne Altmann | Aris Kalaizis
Susanne Altmann, geb. 1964, ist freischaffende Kunstkritikerin und Kuratorin, schreibt für mehrere deutsche Zeitschriften und Magazine. Sie lebt und arbeitet in Dresden.