Der Umweg als Weg zur Einheit und Ordnung
Die New Yorker Kunstkritikerin Carol Strickland prägte in Bezug zu dem Neue Leipziger Schule – Maler, Aris Kalaizis, hier erstmals den Begriff des Sottorealismus. Darüber hinaus finden sich darin einige interessante Bilddeutungen zu den amerikanischen Bildern
„Erst ein guter Leser macht ein gutes Buch“, sagte der amerikanische Schriftsteller Ralph Waldo Emerson. Das Gleiche gilt für ein gutes Bild. Je komplexer und vielschichtiger ein Bild – immun gegen ein schnelles, oberflächliches Lesen – desto mehr erfordert es einen wachsamen Rezipienten. Der Betrachtung, der Besinnung und der Reflexion folgend, blüht das Bild im Geist. Es ist gerade diese evokative Qualität, welche die Begegnung mit Aris Kalaizis’ Bildern so spannend macht.
Jedes Bild eröffnet dem gründlich Betrachtenden neue Welten; dies überrascht auch nicht, denn der Leipziger Maler Kalaizis benutzt in der Konstruktion seiner Komposition multiple Ausführungsarten. Gleich einem Bühnenbildner wählt er zunächst jeden Gegenstand klug aus. Dann arrangiert er diese im Bildraum derart, so dass die Objekte, die Figuren sowie der Raum zwischen ihnen mit Intensität vibrieren. Gleich einem Drehbuchautor konstruiert er ein mit Dramatik und internem Konflikt gespeistes Tableau und füllt so den Schauplatz mit einer geladenen Spannung. Mit dem Auge eines Perfektionisten führt er Regie; er kalibriert sämtliche Elemente für einen maximalen visuellen Effekt. Und natürlich, gleich einem vollkommenen Maler, holt er aus Farben, Linien, Formen und Gestalt die größtmögliche Wirkungskraft hervor. Aus Pigmenten und Strukturen schafft er Einheit und Ordnung, allerdings immer mit der im Entstehen begriffenen Drohung, dass dieses Gleichgewicht auseinander fallen könnte.
…Form, Farbe und Struktur als eine Art Saatbeet
Kalaizis’ Methode beginnt mit einer inneren Vision – einer zunächst nur wagen Ahnung, welche er im späteren Verlauf zu erkunden sucht. Erst sucht er nach einem tatsächlichen Schauplatz – einer Bühne gleich, auf welcher er seinen Träumereien Raum geben kann. Dann fotografiert er diese Kulisse. Und, indem er als Filter zwischen Realität und eigener Erfindung fungiert, reinigt er den Hintergrund, eliminiert unnötige Details und holt Elemente seines „Drehbuchs“ hervor, die seine Bildneuschöpfung prägen werden. In diesem Prozess entdeckt er Überraschungen, die den Schauplatz seiner Handlungsevolution beeinflussen.
Er will in diesem langwierigen Entwicklungsverlauf nicht den Anstrich der äußerlichen Oberfläche eliminieren, vielmehr versteht er Form, Farbe und Struktur als eine Art Saatbeet, aus welchem sein Konzept erst erwachsen kann. Wenn ein Bild vorschnell auf eine allzu deutliche Darstellung hinzusteuern scheint, formiert er seine Absichten neu und macht das Bild schwerer fassbar. Die Realität, die er darstellt, ist keine wirkliche Realität, sondern vielmehr eine neue konstruierte. Kalaizis sagt: „ Ich interessiere mich nicht dafür was ist, sondern dafür, was sein könnte“.
Wenn Kalaizis allmählich eine Geschichte vor seinem geistigen Auge imaginiert, bedarf er dafür meist Figuren. Dazu fotografiert er Menschen, die er dann in seine Bildszenerie einbaut.
Er hält einen Ausschnitt aus dem Leben fest, indem er einen Moment, dessen Bedeutung im Verborgenen liegt, in einen Stillstand versetzt. Denn die äußerliche Ruhe verbirgt die Aufruhr im Inneren – gleich einer harmlosen Flosse, die durch die azurblaue tropische See schwimmt und den um seine Beute kreisenden Killerhai verbirgt.
…Die Realität, die er darstellt, ist keine wirkliche Realität, sondern vielmehr eine neue konstruierte
Betrachtet man ein Bild von Kalaizis eingehend, wirkt es, als ob man einem zweidimensionalen Bild eine dritte Dimension hinzufügte. Der Betrachter wird aus einer passiven Betrachtungssicht herausgerissen und in eine aktive Teilnahme geführt. Diese implizierte Erzählinterpretation wird jedoch erst durch einen wachsamen Betrachter hervorgerufen und möglicherweise vervollständigt.
Das Bild Keyville (2006) veranschaulicht, wie die Kraft seiner Malerei den Betrachter engagiert. Die Szene hat die beunruhigende Qualität einer Piazza von de Chirico – angereichert mit packenden Anspielungen, einem Gefühl der Drohung und rätselhafter Assoziationen. Hier ist ein seltsamer Tatbestand der eigentliche Drehpunkt des Bildes, denn ein orangefarbener Schal liegt verlassen im vorderen und mittleren Bereich. Darüber baumelt ein nicht aufgelegter Telefonhörer, so als ob die Trägerin des Schals in großer Eile den Ort verließ. War sie zu erschüttert von der Nachricht, die sie über das Telefon empfangen hat, den Hörer aufzulegen? Wurde sie wegen eines anderen Notfalls gerufen? Wurde sie entführt?
Die zentrale Leerstelle wird an den Seiten eingeklammert; auf der einen von einer Statue eines Soldaten – dieser hält ein Gewähr und seine Haltung drückt Handlungsbereitschaft aus, und auf der anderen von einem sitzenden Mann, der sich keiner Gefahr zu wähnen scheint. Ein warmer Farbton verbindet drei scheinbar verschiedene Sequenzen (geteilt durch senkrechte Stangen). Die rötliche Kurve auf der linken Seite führt zum rosafarbenen Sockel, auf welchem die Statue steht, hin zur entgegen gesetzten Kurve des orangefarbenen Schals, welcher die beinahe gleiche Farbnuancierung der Holzbank aufweist, auf der gelassen ein Zigarette rauchender Mann sitzt.
Sowohl Inhalt als auch Struktur werfen schwer zu fassende Fragen auf: Fiel die Frau einem Gewaltverbrechen zum Opfer, das weder der Steinsoldat, noch der teilnahmslose Mann verhindern konnten? Der Betrachter fragt sich: „Was geschah vor und was wird nach dieser Szene geschehen?“ Unvollständigkeit ist die tonangebende Strategie, welche den Betrachter in die Welt des Malers zieht, ihn in Zweifel versinken lässt.
Am Sterbebett von Gertrude Stein stellt der Autor die Frage: “Wie lautet die Anwort?“ Ihre Antwort darauf: „Wie lautet die Frage?“. So sind denn auch für Kalaizis die Fragen wichtiger als die Antworten.
Selbst die Landschaften von Kalaizis sind von abstraktem Kompositionsbau, auch sie haben eine rätselhafte und zur Interpretation einladende Qualität. The Olentangy River II (2005) scheint eine friedvolle, herbstliche Szene widerzuspiegeln; die Bäume in der Ferne und deren Reflexion werden mit der Fertigkeit eines Virtuosen dargestellt. Dann bemerkt man die Betonspitzen einer Bootsrampe, die wie scharfe Dolche über dem Wasser schweben und die Ruhe erschüttern. Die seltsam ruderförmige Betonmasse, die im Vordergrund auf dem Wasser treibt, fügt ebenfalls eine widersprüchliche Nachricht bei und löst dabei eine Dialektik zwischen der natürlichen und der vom Menschen geschaffenen Welt aus. Die erste Reaktion ist ein Seufzer, die zweite ein Schaudern.
Kalaizis ist ein Maler der Gegensätzlichkeiten. Er stößt und schubst an, er erweckt die eigene Phantasie, um auf die seine reagieren zu können. In Broad St. No. 100 (2005) baumelt wieder ein Telefonhörer, diesmal in einer Telefonzelle, in welcher ein Körper zusammensinkt und dessen Kopf sich außer Sichtweite befindet. Schläft der junge Mann, steht er unter Drogen oder ist er etwa tot? Neben der besetzten Zelle erstrecken sich drei weitere sterile Telefonzellen. Ein uniformierter Polizist taucht drohend im Vordergrund auf, sein Gesicht eine unheimliche Maske, seine Haltung gleicht einem treuen Diener der Amtsgewalt. Doch was die straffe Gleichung der zellenartigen senkrechten Formen erschüttert, ist das Bild des Polizisten, der wie Lady Macbeth mit Widerwillen auf die Finger seiner Hand starrt. Man fühlt sich genötigt zu fragen: „Was geht denn hier vor?“.
…Maler der Gegensätzlichkeiten
Rubbacord (2005) geht sogar noch weiter in den Bereich der Absurdität hinein. Stürmische Wolken bilden hier einen Wirbel über einer Treppe, die in ein Nirgendwo zu führen scheinen, während eine purpurne See bei scheinbar steigender Flut auf ihrem sitzt. In einer Betonwand ist ein orangefarbenes Rechteck platziert, indem der sinnliche, nackte Körper einer Frau zur Schau gestellt wird. Ihr abgeschnittener Kopf spiegelt sich umgedreht auf dem nassen Asphalt. Das Bild stellt harte und weiche Oberflächen, gerade Linien und Kurven, belebte und unbelebte Formen, bewegliche und unbewegliche Massen gegenüber. In dieser stürmischen Szene wirken Reflexionen und Schatten unsinnig. Dem Bild fehlt es an Menschlichkeit, doch es sprießt voller Geheimnisse.
Kalaizis’ bravouröser Umgang mit der Farbe muss erwähnt werden. Er ist ein Meister in der Darstellung von Beton. Überwiegend wird Beton als eine stumme, matte – bis hin zur brutalen – Oberfläche dargestellt. Wenn Kalaizis Beton malt, dann führt er seine Pinselstriche mit sachten, pastellfarbenen Schwüngen, die in ihrer feinen, subtilen Art und Weise an ein Bild von Morris Louis erinnern.
Ein Schlüssel zu den verborgenen Absichten des Malers liegt in der wiederkehrenden Bildersprache. Wie Alfred Hitchcock seine Signatur setzt, indem er in jedem seiner Filme in einer winzigen Nebenrolle auftritt, so taucht diese persönliche Ikonographie immer wieder auf. Ein Lieblingsmotiv ist die Figur einer schwarz gekleideten Frau mit einem orangefarbenen Kopftuch, die eine schwarze Handtasche trägt.
Diese Figur, die auf Kalaizis’ Frau Annett basiert, erscheint in The Ohio Hotel (2006) – ihr Rücken ist dem Betrachter zugewendet, ihr Blick abgewandt, ihre Handtasche in einer verwundbar anmutenden Stellung. Ihr gegenüber, dem Blick des Betrachters zugewandt, steht ein verwildert anmutender Mann, der in drohender Gebärde einen Baseballschläger hält. Kalaizis teilt den Raum zwischen den beiden Figuren (Protagonist und Antagonist?) durch einen bedrohlich wirkenden Schatten, der von einem riesigen Baum auf ein mit grellen Farben gemaltes Gebäude geworfen wird. Der Mann steht hinter einer schwarzen Form, die einer Welle gleicht und wie weicher Asphalt aussieht, während die Frau auf einem schneebedeckten Feld geht, welches einer purpurroten See ähnelt. Aber auch hier ergibt nichts einen Sinn, doch spürt man, dass sich die Frau in Gefahr befindet. Der Betrachter fühlt sich dazu verpflichtet, die Assoziationsleerstellen auszufüllen.
An Afternoon in Upper Arlington (2005) wirkt ähnlich beunruhigend. Der Titel des Bildes deutet auf die Tageszeit hin. Doch das purpurrote Licht und die Dunkelheit, die von einer hellen Lampe erleuchtet wird, an welcher sich ein scheinbar ungezähmter Mann klammert, weisen paradoxerweise auf eine nächtliche Szene hin. Eine offene Aktentasche – als ob deren Inhalt geplündert wurde – liegt auf dem Boden neben dem Mann, dessen Augen verborgen bleiben.
Die Szene vermittelt eine geheimnisumwobene Stimmung, doch die helle Kugel des Lichts wirkt wie ein Zeichen der Klarheit. Der Lampenpfahl ist im eigentlichen Sinn ein Gehstock, auf den sich der Mann stützt, um Halt zu erlangen.
Das Bild erinnert an ein Kalaizis Gemälde aus dem Jahr 2004, Die Lichtung. Der deutsche Titel wurde ins Englische mit The Enlightenment – die Erleuchtung/Aufklärung – übersetzt. Hier starrt die Tochter des Malers in ein Donald Judd ähnliches Arrangement aus Lichtwürfeln, so, als ob sie nach der Antwort auf die Fragen des Lebens sucht. Die Lichtung kann auch ins Englische als The Clearing – eine Waldlichtung – übersetzt werden. Dies kann von den aufgeladenen zentralen Orten, die in vielen von Kalaizis Arbeiten auftauchen, abgeleitet werden – gleich einem offenen, verschwundenen Ort, einer Lichtung, in welcher untergründige Bedeutungen im Auflodern des Lichtes wohnen könnten.
Kalaizis’ Bilder ähneln in ihrer Rätselhaftigkeit den surrealistischen Bildwelten eines René Magritte, wenn er einerseits einen halbrealistischen Bildraum malt, aber andererseits diesen mit einem unlogischen, stets beunruhigenden Inhalt füllt.
Mit wunderschön wiedergegebenen Bäumen und mit dem meisterhaft dargestellten Portrait eines traumverlorenen Mannes, der sich an einen Buchenbaum lehnt, ist das Bild Das Heim (2005) nahezu eine Glanzleistung der wirklichkeitsnahen Darstellung. Doch lenkt Kalaizis diese ruhige Szene in eine andere Richtung; zuerst mit seiner Graffitikritzelei, einer Blume an der Wand eines kleinen Holzhauses, dann auf einen hinter dem Fenster stehenden Körper einer nackten Frau, welche einer untergetauchten Wassernymphe in einem Aquarium gleicht. Sehnsucht, aber auch Einsamkeit durchfluten die Szenerie.
…„Das Begehen von Umwegen ist ein wichtiges Merkmal meiner Arbeit“
„In dem Moment, wo das Bild eine spannungsarme Freundlichkeit aufweist“, sagt Kalaizis, „möchte ich den Schrank mit den Giftpillen öffnen.“ Und gerade wenn man glaubt verstanden zu haben, was er sagen will, ändert er im Zickzackkurs die Richtung. Er sagt dazu: „Das Begehen von Umwegen ist ein wichtiges Merkmal meiner Arbeit“. Strotzend vor Doppeldeutigkeit versprechen seine Bilder zu enthüllen, was sie doch verbergen. Aber selbst bei genauer Untersuchung sind ihre vielfältigen Bedeutungsschichten unerschöpflich.
Vielleicht ist ein neuer Begriff für die Beschreibung seiner Arbeit bezeichnender als die Begriffe Realismus oder Surrealismus. Anstelle von „sur“, dies bedeutet „über“ oder „oberhalb“, ist „Sottorealismus“ hier passender. „Sotto“ („unterhalb“ oder „unter“) weist auf die in einer Fabel verborgenen Geheimnisse hin, die unter der Oberfläche der Geschichte vergraben sind – hinter den formalen Elementen: Farbe, Linie, Gestaltung und Komposition.
Will man eine Erklärung für das, was in dieser schrulligen, vom Maler geschaffenen Welt geschieht, ans Licht bringen, muss man tief bohren. Seine Land- und Stadtlandschaften sind eher Traumbilder – räumlich verwirrend, eigenwillig und bizarr.
Häufig ist seine Bildarchitektur streng, erdrückend und kalt; die Figuren wirken träge, entkräftet und einsam. Anstatt sich zu begegnen und zu verständigen, sind sie in getrennten Bereichen eingeschlossen, diese Situation wird durch die rasterartigen Hintergründe verstärkt.
Die Stunde der unnachahmlichen Offenbarung (2005) ist ein gutes Paradigma (Beispiel) für diese Eisbergstrategie – in welcher 90% der Geschichte verborgen sind. Das Bild zeigt verschiedene Menschen, die um einen leeren Tisch sitzen. Es hat die Kuriosität einer Szene von Balthus oder von Manets Déjeuner sur l’herbe, denn während vier der Figuren vollständig bekleidet sind, sitzt eine nackte Frau ausdruckslos in deren Runde. Die Figuren teilen den Bildraum, aber sie wirken wie Schaufensterpuppen – zusammenhanglos und einander fremd. Ihre Gesichter sind ausdruckslos und vermitteln den Zustand der Anomie, wie eine melancholische Film Noir-Inszenierung. Der Titel deutet Aufklärung an, wie in einem Bild Caravaggio’s, wo sich Jesus seinen Jüngern als Emmaus offenbart. Aber mit den verbündeten Frauen (zwei Frauen mit identischen Gesichtern, eine weitere widersprüchliche Mitteilung) auf der einen Seite des Bildes und den Männern auf der anderen Seite, ist der ausgespielte Krieg zwischen den Geschlechtern die einzig implizierte Enthüllung. Die Figuren strahlen Ambiguität aus, welche im ausbrechenden Untergrund des Dramas verwurzelt ist.
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Die Kunstwelt schenkt gegenwärtig einer Richtung viel Beachtung, die „Leipziger Schule“ genannt wird und von der Leipziger Hochschule für bildende Künste und ihrem herausragenden Lehrer, Arno Rink, kultiviert wird. Kalaizis studierte unter Rink, war dessen Meisterschüler. Es wird gesagt, dass diese Maler den Realismus neu erschaffen haben, indem sie gegenständliche Arbeiten mit erzählendem Inhalt und einer zeitgenössischen Tendenz erzeugen.
Gemeinhin wird gesagt, dass seit den 1960er Jahren im Westen die avantgardeausgerichteten Kunstschulen traditionelle Lehrmethoden verlassen haben, bei denen eine handwerkliche Solidität des Malens, einschließlich Zeichnen nach Modell, Anatomiestudien sowie Beherrschung der Perspektive, vermittelt wurde. In Leipzig verblieb die Vermittlung dieser Fertigkeiten auf dem Lehrplan. Was Kalaizis anbelangt, so benutzt er sein ausgezeichnetes malerisches Rüstzeug nicht bloß für eine rein veranschaulichende Malerei, sondern er erzeugt vielmehr ein hybrides Kunstereignis, indem er das Beste des Alten mit dem Besten des Neuen kombiniert und ergänzt.
Seit dem Beginn der Moderne betrieben Künstler vor dem Eisernen Vorhang ein atemberaubendes Tempo in punkto Experimentieren: Abstraktion, in welcher Authentizität, emotionaler Ausdruck und Formalismus absolut waren, dann Minimalismus, Pop-Art, konzeptuelle Kunst, Performance, Installation und noch gegenwärtiger – New Media Art, wie z.B. digital manipulierte Fotografie und Video Art.
Kalaizis borgt Utensilien von verschiedenen zeitgenössischen Kunstrichtungen. Aber er arbeitet sie bei seiner Erkundung von erkennbaren Gegenständen um. Er entstellt damit das Bekannte fremd und passt diese an seine Erforschung an und wird somit unendlich evokativ. Er arbeitet mit dem Blick eines Filmregisseurs und unter Verwendung der Fotografie, die zum Arsenal dieses Malers gehört. Wie bei einer Performance oder den sich widersprechenden Anordnungen einer Installation verlangt die Arbeit von Kalaizis die Beteiligung des Publikums, um die von ihm dargestellten unheimlich schönen Welten zu interpretieren. Seine Passion und seine Vorstellungskraft entfachen die Neugier des Betrachters, auf diese Weise wird der Beobachter dazu gezwungen, zum Mitschöpfer und Decodierer zu werden.
…verlangt von denen, die seine Werke betrachten, nichts geringeres, als deren vollstes Engagement
Nicht umsonst zitiert Kalaizis einen Satz Thomas Bernhards: „Die wesentlichsten Dinge liegen im Verborgenen.“
Was inhaltlich in Kalaizis’ Bildern einbezogen ist, ist natürlich bedeutsam. Aber auch der leere Raum ist fast spürbar und ebenso wichtig, wie die Gegenstände selbst. Die Szenerien sind voller Möglichkeiten: „Einen Ort zu finden ist meine Leidenschaft, wo man das Gefühl hat, etwas, was bisher noch nicht war, könnte entstehen“, wie Kalaizis einmal beschrieb. Mit seinem Sinn für Formschöpfungen errichtet er massiven Raum aus sich kreuzenden Vertikalen, Horizontalen und Diagonalen. Und doch fällt immer etwas aus dem Gleichgewicht, irrational – gleich einem sicheren Ort für unsichere Ideen.
Ungeachtet davon, wie bedrohend einige seiner Arbeiten wirken, bauen die Ansprüche, die an den Betrachter gestellt werden, um ihre Rätsel lösen zu können, auf das Vertrauen in das menschliche Potential. Kalaizis’ Malerei ist nicht leicht. Er schraubt das geistige Niveau seiner Ideen nicht herunter.
Die Arbeit ist gründlich, hart erkämpft und schwer gewonnen. Er verlangt von denen, die seine Werke betrachten, nichts geringeres, als deren vollstes Engagement.
Die Belohnung entspricht der Mühe. Kalaizis hofft, dass Einsichten wie auch Zweifel aufblühen mögen, so wie die helle Blume erblüht, die immer wieder in seinen Bildern auftaucht. Es ist eine schwere Last, die ein Bild zu tragen hat, aber Kalaizis sagt über seine Kunst: „Ich möchte, dass sie in Lebensbejahung gipfelt, in Versöhnung“.
Wir werden wohl niemals die Widersprüche, die konstruierten Gegensätze in seinen Bildern auflösen, doch wenn diese uns aufwühlen und uns zwingen, eigene Antworten auf seine Fragen zu finden, dann sind sie meisterlich gelungen.
©2006 Carol Strickland | Aris Kalaizis
Dr. Carol Strickland, geb. 1946, freischaffende Kunstkritikerin, arbeitet für mehrere amerikanische Zeitungen und Magazine. Sie veröffentlichte u.a. mit "The Annotated Mona Lisa" (2007) ein Buch der Kunstgeschichte und Architektur. Strickland ist verheiratet mit dem Biochemiker Sidney Strickland. Sie lebt und arbeitet in New York City