Aris Kalaizis

Maler des Nordens, Maler des Südens

In diesem Text bes­chreibt der Kun­sthis­toriker Prof. Dr. Michael Scholz-Hän­sel die Darstel­lung des Hl. Bartho­lomäus durch Aris Kala­izis unter Ein­bez­iehung kun­sthis­tor­ischer Aspekte. Fern­er sieht er im Maler eine per­son­i­f­iz­ierte Ver­schmelzung der nörd­lichen und süd­lichen Hemisphäre

Michael Scholz-Hänsel vor Kalaizis' Bartholomäus-Gemälde (2014)
Michael Scholz-Hänsel vor Kalaizis' Bartholomäus-Gemälde (2014)

Son­derbar, wenn ein selb­ster­klärter agnostischer Maler plötz­lich mit dem reli­giösen Stof­fen arbeitet. Obwohl es keineswegs über­ras­chend ist, dass welt­lich-gesonnene Künst­ler immer Aus­flüge in den Bereich des Reli­giösen unter­nom­men haben. Während eines Inter­views sagte der fran­zös­is­che Autor Michel Houel­le­becq kürz­lich der deutschen Wochen­zei­tung ›DIE ZEIT‹ dass eine Gesell­schaft ohne Reli­gion nicht über­lebens­fähig sei. Laizis­mus und krit­ischer Ration­al­is­mus, die eine grundle­gende Abkehr von reli­giösen Ideen beschwören, sind ohne eine Zukunft.


…Kirchen­ru­ine im Meer


Der Leipzi­ger Künst­ler Aris Kala­izis ist 1966 in Leipzig als Sohn griech­is­cher polit­ischer Emig­ranten geboren und wie Neo Rauch Schüler von Arno Rink an der HGB. Auf den ersten Blick scheint es, als sei­en beide Teil der neuen fig­ur­at­iven Malerei, die gern mit dem Etikett „Leipzi­ger Schule“ verse­hen wird. Mit ihr teilen seine Werke die sorgfältige handwerk­liche Erarbei­tung und vor allem den von der Avant­garde um 1900 ver­wor­fen­en und Jahrzehnte später von Arno Rink wieder­belebten Per­spekt­iv­raum der Renaissance. 


An ganz ander­er Stelle jedoch müssen wir die Vor­bilder für die unheim­liche Stim­mung sein­er Bilder suchen, die ganz wesent­lich auf dem Ein­satz des Licht­es ber­uht. In ein­er kun­sthis­tor­ischen Per­spekt­ive den­kt man viel­leicht an das Helldunkel von Cara­vag­gio und Jusepe de Rib­era, die gez­ielt auf klare Lichtquel­len ver­zichteten, doch set­zt sich seine exzess­ive Prim­a­malerei ohne pastose Weißhöhun­gen wie­der­um tech­nisch von diesen Vor­bildern ab. Bei ein­er genauer­en Ana­lyse, wie sie nun vollzo­gen wer­den soll, stellt sich heraus, dass es nicht ein Par­agone, ein Wett­streit, mit den Alten Meister son­dern mit den mod­ernen Medi­en ist, der sein­en Bildern ihre außer­or­dent­liche Kraft ver­lei­ht und es zudem ein­ige über­ras­chende Ver­bindun­gen zur Konzeptkunst gibt.

Das Martyrium des Hl. Bartholomäus oder das doppelte Martyrium | Öl auf Leinwand | 250 x 285 cm | 2014/15
Das Martyrium des Hl. Bartholomäus oder das doppelte Martyrium | Öl auf Leinwand | 250 x 285 cm | 2014/15

Im Fok­us unser­er Über­le­gun­gen soll das gerade vol­len­dete „Mar­tyri­um des Hl. Bartho­lomäus oder das dop­pelte Mar­tyri­um“ (2014÷15) stehen, ein mit den Maßen 250 x 285 cm wahrhaft monu­mentales Werk. Bereits 2009 schuf Kala­izis, selbst bek­ennender Athe­ist, mit „make/​believe“ ein erstes reli­giöses Bild, das Papst Bene­dikt XVI. in ein­er krit­isch gemein­ten nar­rat­iven Kom­pos­i­tion zeigt. Nun fol­gt mit dem „Hl. Bartho­lomäus“ ein Gemälde, das die unter­schied­lichen reli­giösen Bildtra­di­tion­en in Nord- und Südeuropa in irrit­i­er­ender Weise zusam­men führt und viele Fra­gen aufwirft. Das Bild wird ab April im Frank­furter Dom (gewei­ht dem Hl. Bartho­lomäus) zu sehen sein.


Den Rah­men für das reli­giöse Thema bil­det ein gewaltiges Land­schaft­span­or­ama, das in drei etwa gleich­große Bild­zon­en unter­teilt ist. Den Vorder­grund mar­kiert ein grün­er Küsten­streifen, auf dem sich die fig­ur­at­ive Hauptszene abspielt, es fol­gt ein Gewäss­er, das mit einem sch­malen rot gefärb­ten Hori­zont abschließt und in dessen Mitte eine Kirchen­ru­ine steht und über allem hängt ein düster­er Wolken­him­mel. Es domin­ier­en kalte Farben, den­en ein­zig der rote Him­mel­streifen und der Wider­schein eines Feuers gegenüber steht, in dem Büch­er ver­bran­nt werden. 


Im Zen­trum des Werkes auf dem grün­en Plat­eau des Vorder­grundes ereignet sich die Schindung des Hl. Bartho­lomäus, der mit gefes­sel­ten Bein­en von einem sein­er Folter­er kop­füber auf ein­er anges­chrägten Leit­er präsen­tiert wird. Zwei weit­ere Fig­uren zu Seiten der Hauptszene beteili­gen sich akt­iv an dem grausigen Ges­chehen. Obwohl der eine sitzend von vorne und der andere stehend von hin­ten gezeigt sind, sieht man doch an der Kleidung und der Haartracht gleich, dass es sich um ein und dies­elbe Per­son han­delt. Der Sitzende hält ein großes Mess­er, mit dem er dem Hl. Bartho­lomäus wahr­schein­lich ein erstes bereits her­ab­hän­gendes Stück Haut abgezo­gen hat, der Stehende fasst mit beiden Händen ein Seil, das angespan­nt die gebunden­en Füße des Hei­li­gen emporhält.


…neben ver­schieden­en diag­onalen Achsen, die durch die Glied­maßen mar­kiert sind, verknüp­fen auch die über den Boden ver­teil­ten blauen Büch­er die Handelnden


Alle Han­delnden des Vorder­grundes sind durch eine kun­stvolle Kom­pos­i­tion ver­bunden, die den Hei­li­gen in ihr­em Zen­trum hat. Neben ver­schieden­en diag­onalen Achsen, die durch die Glied­maßen mar­kiert sind, verknüp­fen auch die über den Boden ver­teil­ten blauen Büch­er die Han­delnden. Allerd­ings ist die Gewich­tung der beiden Bild­hälften sehr unter­schied­lich. Wird auf der recht­en Seite durch das Seil ein weit­ge­hend leer­er Raum, eine Art Den­kraum umrah­mt, so find­en sich auf der linken Seite mehr­ere Motive: neben dem Feuer, ein Vulkan am Hori­zont und ein halb im Wasser stehender Mann, der ein brennendes Buch emporhält. Let­zter­er dürfte für die Bild­in­ter­pret­a­tion von größer­er Bedeu­tung sein, denn der Sitzende mit dem Mess­er, der den Betrachter ins Bild leitet, weist mit dem aus­gestreck­ten Arm auf ihn hin.


Ikono­grafisch mar­kiert das Bild ein­en dram­at­ischen Wendepunkt, für den der Aus­gang offen ist. Der düstere Him­mel erin­nert an apokalyptische Ver­sion­en, wie sie in den let­zten Jahren die Kinolein­wände beherrscht­en. Ich habe gleich an Lars von Tri­ers „Mel­an­cho­lia“ (2011) gedacht. Der Hl. Bartho­lomäus wie­der­um steht in ein­er lan­gen Tra­di­tion, die mit Michelan­gelo begrün­det wurde, der sich im „Welt­gericht“ in der Six­tina selbst in der Haut des Hei­li­gen porträtiert hat. Wichti­ger noch als Vor­bild dürften die zahlreichen Inter­pret­a­tion­en des Them­as durch Jusepe de Rib­era sein, der ein­en beson­der­en Akzent set­zte, indem er auf die bis dah­in übliche Darstel­lung der Belohnung für das Mar­tyri­um, meist eine Krönung durch Engel, ver­zichtete und dam­it den welt­lichen und let­zt­lich bru­talen Charak­ter dieses Bild­ty­pus verstärkte. 


…ganz ähn­lich dem Engel in „make/​believe“, mit Blick auf die Kirchen­ru­ine zur Umkehr aufzurufen


Die Kirchen­ru­ine im Meer schließ­lich ruft natür­lich die romantische Tra­di­tion von Cas­par Dav­id Friedrich wach. Die ungewöhn­liche Wahl des Gewäss­ers hat viel­leicht ein­en regionalen Hin­ter­grund. Man den­kt an die durch die Braunkohle ver­sunken­en Orte im Leipzi­ger Umland, die in den let­zten Jahren geflutet, inzwis­chen durch eine tour­istische sehr beliebte Seen­land­schaft erset­zt wur­den. Dazu passt, dass sich Kala­izis für die Kirche ein konkretes Mod­ell in der Klos­ter­ru­ine von Wachau (bei Leipzig) nahm. So gese­hen erhält nun auch der Mann im Wasser mit dem brennenden Buch sein­en Sinn. Er scheint, ganz ähn­lich dem Engel in „make/​believe“, mit Blick auf die Kirchen­ru­ine zur Umkehr aufzurufen. Das warme Rot in seinem Ink­arnat steht im Gegensatz zum kal­ten Blau der Män­ner im Vorder­grund und ver­deut­licht, dass er nicht zu ihnen gehört. Im Sinne des Bildti­tels find­en sich also hinter dem plakat­iven Mar­tyri­um des Hl. Bartho­lomäus weit­ere, die es zu einem „dop­pel­ten“ machen.


Schwer­er zu deu­ten sind die brennenden Büch­er. „Wo man Büch­er ver­bren­nt, ver­bren­nt man auch am Ende Menschen“, heißt es bei Hein­rich Heine, aber Büch­er wur­den auch von der Inquis­i­tion ver­bran­nt, um ihre Recht­gläu­bigkeit aus­zu­testen. Denn die wahren Büch­er soll­ten sich angeb­lich in die Lüfte erheben und so dem Feuer ent­ziehen. Bei Kala­izis wird ledig­lich eines von dem Mann im Wasser empor gehal­ten. Ist es gar in Umkehrung der kath­ol­ischen Pos­i­tion die Bibel, die Luth­er im Sinne von „sola scrip­tura“ für die Lektüre als aus­reichend empfand? Ganz offensicht­lich verkom­pliz­ier­en sich an dieser Stelle die Deutungswege.

Das große Wunder | Öl auf Holz | 50 x 81 cm | 2015
Das große Wunder | Öl auf Holz | 50 x 81 cm | 2015

Die let­zten „sakralen“ Arbeiten von Kala­izis entstanden vor dem Hin­ter­grund eines nicht erst seit dem Par­iser Ter­ror­an­sch­lages ent­flam­mten Diskur­ses um die Bedeu­tung der Reli­gion in mod­ernen Gesell­schaften. Nach mein­er Beo­bach­tung spiegeln sie eine allge­meinere Tendenz, die sich in ganz unter­schied­lichen Medi­en, wie den eher tra­di­tion­el­len Pap­st­porträts von Michael Triegel, den Kirchen­fen­stern von Richter, Lüpertz, Rauch etc. aber auch in über­ras­chenden, frei erfunden­en Hei­li­gen­porträts der Street Art ausdrückt. 
Aber anders als Triegel, der wie unser Künst­ler der­selben „Leipzi­ger Schule“ entstam­mt und sich jüngst zum Kath­ol­izis­mus bekehrte, weist der „Athe­ist“ Kala­izis eine Hal­tung auf, der­en krit­ischer Umgang mit der Reli­gion in man­chem an den neuen Erfolgs­ro­man von Michel Houel­le­becq „Unter­wer­fung“ (2015) erin­nert, der gleich­wohl erst nach Fer­tig­stel­lung des Bildes erschi­en. Dort fol­gt der Prot­ag­on­ist in ein­er allge­mein­en gesell­schaft­lichen Krise zun­ächst seinem Vor­bild, dem Schrift­s­teller Jor­is-Karl Huys­mans ins Kloster, um dann doch eine sehr pro­fane Altern­at­ive zu leben, die nun anders als bei Kala­izis voller Selb­stironie steckt. 


…weder der Prot­est­ant­is­mus und die Kunst des Nor­dens (z.B. Cas­par Dav­id Friedrich), noch der Kath­ol­izis­mus des Südens (Michelan­gelo, Rib­era etc.) führen aus der aktuel­len Krise


Auch Kala­izis weiß natür­lich, dass er mit seinem konzep­tuel­len Bild niemand zurück zum Glauben führen wird, und seine Zielvor­gabe ist somit keineswegs die Rück­kehr zu den ver­meint­lichen abendländis­chen Wurzeln. Das Christ­entum liegt in Ruin­en und hat seine Gewal­texzesse noch nicht wirk­lich ver­arbeitet, das bekom­men wir hier über­deut­lich vorge­führt. Weder der Prot­est­ant­is­mus und die Kunst des Nor­dens (z.B. Cas­par Dav­id Friedrich), noch der Kath­ol­izis­mus des Südens (Michelan­gelo, Rib­era etc.) führen aus der aktuel­len Krise, die nicht nur eine öko­nomis­che, son­dern auch eine spirituelle ist. 


Und so ist es auch keine Über­ras­chung, dass es die deut­lich­sten Par­al­lelen zu dem Werk von Kala­izis nicht bei Triegel son­dern bei Gregory Crewd­son, einem derzeit sehr erfol­greichen Repräsent­anten der Inszen­ier­ten Foto­grafie gibt. Schnittflächen bestehen hier sowohl hinsicht­lich der evozier­ten Stim­mun­gen, als auch in der Machart bzw. dem Entstehung­s­prozess der Bilder. Beide Künst­ler bereit­en ihre Arbeiten über viele Stufen vor und set­zen dabei das Medi­um der Foto­grafie ein, um Raum für Reflex­ion zu schaf­fen. Kala­izis wählt zun­ächst ein­en konkre­ten Ort – das kann ein ver­lassenes Gebäude in Leipzig und Umge­bung, aber auch ein Nachbau im Atelier sein – und ver­sam­melt dann dort die Per­son­en und Objekte, die er dar­zus­tel­len plant. Danach fol­gt eine kun­stvolle Inszen­ier­ung, bei der die Lichtre­gie, genau wie bei Crewd­son, eine zen­t­rale Rolle spielt. Das in diesem kom­plex­en Prozess gefundene Bild erfährt schließ­lich eine foto­grafis­che Dok­u­ment­a­tion, die im Atelier kun­stvoll in ein Gemälde umge­set­zt wird. 
Kala­izis und Crewd­son offer­i­er­en dem Betrachter eine erweit­erte Real­ität, die wieder Raum für Phant­as­ie und Bei­fang lässt, den die immer ziel­genauere ben­utzer­ori­entierte Tech­nik gerade aus­zuschließen sucht. 


Mit Blick auf Kala­izis hat die amerik­an­is­che Kun­sthis­toriker­in Car­ol Strick­land dafür den Begriff „Sot­toreal­is­mus“ geprägt. Die reli­giösen Bilder von Kala­izis gehen aber noch ein­en Sch­ritt weit­er. Zum ein­en kla­gen sie bei der etablier­ten Kirche vehe­ment die ver­lorene Spir­itu­al­ität ein und zum ander­en offer­i­er­en sie dem Betrachter ein christ­liches Bild­voka­b­u­lar, das dem allge­mein­en Bewusst­sein immer mehr zu entschwinden dro­ht, ver­bunden mit der For­der­ung, es end­lich mit neuem Leben zu füllen.

Über­set­zt von Paul-Henri Campbell


Michael Scholz-Hän­sel, geb. 1955, ist Pro­fess­or für Kun­st­geschichte an der Uni­versität Leipzig mit Schwer­punkt bei der iberoamerik­an­is­chen Kunst. Neben Mono­grafi­en über El Greco und Jusepe de Rib­era pub­liz­ierte er "Inquis­i­tion und Kunst. 'Convivencia' in Zeiten der Intol­er­anz" (2009) und war Mitheraus­ge­ber von "Armut in der Kunst der Mod­erne" (2011) sow­ie "El Greco und die Mod­erne" (2012).


©2014 Michael Scholz-Hän­sel | Aris Kalaizis

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